Wlawa und Ardal


Einst erhob sich unweit der weißen Elster, am Flussabschnitt den schon die alten Germanen Geraha nannten, eine Burg mit gleichem Namen. Diese Burg Geraha befand sich an der Stelle, die man später die Häselburg bezeichnete und die man heute in Geras Zentrum findet, nur ein paar Schritte vom Rathaus entfernt. Hier lebten einst zwei sorbische Fürstenbrüder und teilten sich die Herrschaft über die Landschaft und deren sorbische Bevölkerung.

Zschargha hieß der ältere der beiden Brüder. Er hat seine Frau schon früh verloren, doch hatte er einen Sohn aus dieser Ehe, der sein Sonnenschein und sein Glück war. Er hieß Ardal. Der jüngere der beiden Brüder hieß Halwar. Er war mit Wlawa, der Tochter eines tschechischen Stammesherren, verlobt. Wlawa weilte bereits seit ein paar Wochen auf der Burg, denn in wenigen Tagen wollten die beiden heiraten.

Die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden allerdings jäh unterbrochen, als ein Bote mit der Schreckensnachricht eintraf, dass von der oberen Saale her ein Frankenheer, angeführt von Rudolf und Dagobert, mordend und plündernd ins Land der Sorben eingefallen ist. Ihr Raubzug führte geradewegs auf die Burg zu. Die beiden Fürstenbrüder zögerten keinen Augenblick und zogen an der Spitze ihrer Getreuen dem Feind entgegen. Ardal hatte vergebens seinen Vater gebeten am Kampf teilnehmen zu dürfen und musste in der Burg zurück bleiben, genauso wie die um ihren Geliebten besorgte Wlawa.

Die Franken waren inzwischen herangekommen, umgingen Geraha aber in einem Bogen, um dann doch auf den Höhen von Ronneburg auf die beiden Fürstenbrüder und ihre Sorben zu treffen. Es entbrannte ein furchtbarer Kampf. Die Franken waren mächtig und so mussten sich die Sorben nach dem ersten Treffen ins Brahmental zurückziehen, um sich zu sammeln und neu zu formieren. Doch auch beim zweiten Angriff waren die Sorben der fränkischen Übermacht nicht gewachsen. Gleich zu Beginn von diesem Angriff erhielt der ältere der beiden Fürstenbrüder einen tödlichen Stoß durch eine fränkische Lanze. Im weitern entsetzlichen Gemetzel traf auch dem Jüngeren ein tödlicher Schwerthieb. Die Moral der noch überlebenden Sorben war nun am Boden zerstört und so zogen sie sich in Richtung Geraha zurück.

Von der Burg aus sah Ardal das geschlagene Heer der Sorben und zog ihnen mit den restlichen Männern entgegen, die eigentlich zum Schutz der Burg abgestellt waren. Mit seinen noch frischen Leuten und einer unbändigen Wut führte er einen furiosen Angriff auf das ebenfalls schon stark geschwächte Heer der Franken an. Dieser Anblick brachte die Moral zurück, in die schon geschlagenen Sorben und mit vielfachen Mut stürzten sie sich auf den Feind. Nun ergriffen die Franken die Flucht, aber nur wenige schafften es den Sorben zu entkommen.

Die Sorben waren zwar Sieger geblieben, aber es war ein teuer erkaufter Sieg. Viele Tote waren zu beklagen, darunter auch die beiden Stammesfürsten. Statt einer Hochzeitsfeier sah man am nächsten Morgen einen Trauerzug von der Burg zum Zaufensgraben. Die Leichen der beiden Fürstenbrüder wurden auf Scheiterhäufen gelegt, die von der Priestern entzündet wurden. Der Rest der Sorben beklagte ihre Führer.

Als die Flammen schon mit ungeheurer Hitze loderten schritten Wlawa und Ardal auf die Scheiterhäufen zu. Mit bleichem Gesicht aber doch festen Schrittes bestieg Wlawa den Flammenstoß des Geliebten, während Ardal sich auf den Scheiterhaufen des Vaters stürzte. Getreu der Sitte verbrannten sie sich mit den Toden, ohne die auch sie nicht mehr leben wollten.

Am anderen Tag bargen die Priester die Asche und Überreste der Verbrannten, gaben sie in Urnen und vergruben sie in heiliger Erde...

Gehen wir der Reihe nach vor. Wie wir schon in der letzten Sage - Ein Bund der Sorben - erfahren haben, war das Verhältnis der Franken sowie Thüringer und der angrenzenden Sorben nicht das Beste. Nach ihrem Sieg über die Franken unter Dagobert im Jahr 631, unternahmen die Sorben regelmäßige Kriegszüge nach Thüringen und Franken. Erst ein bedeutender Sieg des thüringischen Herzogs Radulf 635 brachte Frieden. Radulf schloss 641 mit den benachbarten Slawenstämmen ein Bündnis auf Basis der Gleichberechtigung.
Weil Dagobert und Radulf die herausragendsten Heerführer gegen die Sorben waren spiegeln sich ihr Namen in dieser Geschichte, als Anführer Dagobert und Rudolf wieder. Allerdings waren sie wohl nie bis an die Elster vorgedrungen, Ihre Kämpfe fanden an der Eger, am Main und westlich der Saale statt.
Slawenburgen wurden erst seit dem 9. Jahrhundert gebaut, also kurz nach der Regentschaftszeit von Karl den Großen. Das war auch die Zeit als die Franken begannen in den Sorbengebieten im Osten Fuß zu fassen. Dabei waren die fränkischen, teils mit schweren Reitern bewaffneten Heere denen der Sorben überlegen. Und dennoch gab es auch immer wieder Rückschläge bei dieser Eroberung, genau wie in unserer Geschichte.
Ein weiterer beachtenswerter Aspekt ist die Selbstverbrennung der Witwe Wlawa und des Sohnes Ardal, die "getreu der Sitte" erfolgte. Witwenverbrennung kennen wir heute nur aus Indien und genau das ist kein Zufall. Genau wie große Teile der Kultur und der Sprache Indiens auf ein Volk zurück geht, dass vor 5000 bis 6000 Jahren nördlich des Schwarzen Meeres gelebt hat, geht auch die Kultur und Sprache der Slawen auf dieses Volk zurück, wie im Übrigen auch die Kultur und Sprache der Germanen, Römer, Kelten, Griechen, Kurten, Armenier, Iraner und vieler mehr. Dieses Volk nennt man die Indoeuropäer. Bei Ihnen war es üblich die Toden auf Scheiterhaufen zu verbrennen und die Überreste in Erdhügeln, sogenannten Kurganen zu bestatten. In der Ilias, also der Geschichte vom Trojanischen Krieg wird der trojanische Held Hektor ebenfalls auf einem Scheiterhaufen verbrannt und die Überreste in einer Art Urne bestattet. Die Indoeuropäer glaubten an Wiedergeburt in einer anderen Welt. Deshalb wollten Witwen ihren Männern nachfolgen, besonders bei Fürsten oder Stammesführer. Und so ließen sie sich umbringen und mit auf den Scheiterhaufen legen. Nach und nach entstand dann daraus die lebendige Verbrennung, die dann häufig auch nicht mehr freiwillig erfolgte, sondern durch gesellschaftlichen Zwang oder durch Gewalt forciert wurde. Die Witwenverbrennung überlebte vor allem in Indien und bei den slawischen Völkern. Bei Germanen, und Wikingern war es üblich, dass die wichtigsten Sklavinnen eines Anführers mit verbrannt wurden, damit er diese in der anderen Welt wieder zur Verfügung hat.
Seit Einführung des Christenrums gibt es in Europa keine Witwenverbrennung mehr. In Indien sorgten die Briten vor 200 Jahren dafür, dass dieser grausame Brauch fast völlig ausgelöscht wurde, allerdings hört man auch heute noch von vereinzelten Witwenverbrennungen in Indien.

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