Der letzte Ritter von Liebschütz
Die Sage
Der heute teilweise verwachsene Saalsteig war einst die kürzeste Verbindung zwischen Liebschütz und Walsburg. Der Steig führt am Asbach herunter ins Tal der Saale und passiert hinter den Schröderswiesen eine Stelle, wo linker Hand ein Felsen steil zur Saale abfällt. An diesem sind unten Zeichen eingehauen. Dieser Ort ist heute kaum noch jemanden bekannt, aber früher nannte man ihn letzter Ritter, weil hier der letzte Ritter von Liebschütz sein Leben verloren haben soll.
Wie kam es dazu? Der junge Edelmann begehrte die schöne
Tochter des Ritters von Walsburg und hielt um ihre Hand an. Aber auch der Herr
von Burgk wollte sich mit dem schönen Fräulein vermählen. Der alte Herr von
Walsburg legte die Entscheidung in die Hand seiner Tochter. Doch das stolze
Töchterlein entschied: „Dem Tapfersten nur reiche ich meine Hand!“
Und so kam es genau auf jenem Felsen zum Zweikampf zwischen
den beiden Rivalen, um das stolze Fräulein. Sie selbst verfolgte das Gefecht in
ihrem Gemach auf der Walsburg und blieb dabei ohne jede Regung. Hart klirrte
das Metall der sich kreuzenden Schwerter und dumpf klangen die Schläge die mit
dem Schild pariert wurden. Jeder der beiden hatte schon einige blaue Flecke
davon getragen, denn die Rüstung schützt zwar vor den Hieben und Stichen des
gegnerischen Schwertes, aber die Wucht des Schlages durchdrang das dünne Blech
und hinterließ seine Spuren auf der Haut.
Der Kampf wogte hin und her, dabei schwanden langsam die
Kräfte der beiden Kämpfer. Auf einmal rutschte der junge Liebschützer weg. Er
fiel unglücklich auf den Felsenrand. Wegen seiner schweren Rüstung bekam er
keinen Halt und stürzte in die Tiefe. Er war sofort Tod. Der Kampf war
entschieden.
Das junge Fräulein wollte den Sieger freudig empfangen, doch
dieser wand sich ab und ging zurück nach Burgk, wo er noch lange dem sinnlosen
Tod des jungen Edelmannes gedachte. Die herzlose Tochter bekam den Herrn von
Burgk nie wieder zu Gesicht.
Die Hintergründe der Sage
Familie von Obernitz, die Herren von Liebschütz
Nun blicken wir mal etwas genauer auf die Geschichte. Wir beginnen bei dem letzten Ritter von Liebschütz. Gab es diesen überhaupt, den wirklich allerletzten Ritter von Liebschütz? Wohl kaum. Denn bereits seit dem Mittelalter kamen die Ritter von Liebschütz aus der Familie von Obernitz. So ist in den Urkunden ein Apel von Obernitz auf Liebschütz für das Jahr 1369 beurkundet und nochmal für das Jahr 1394. Die von Obernitz blieben in Liebschütz ununterbrochen bis ins Jahr 1810 und der Liebschützer Familienzweig der von Obernitz besteht sogar heute noch. Die Herrschaft blieb also erhalten. Damit verbunden war der Titel Herren von Obernitz auf Liebschütz. Im Mittelalter war es normalerweise üblich, dass diese Adeligen zum Ritter erzogen und ausgebildet wurden. Militärisch verloren die Ritter mit dem Aufkommen von Feuerwaffen schnell an Bedeutung. Und auch politisch wurden diese kleinadeligen Herren entmachtet, da die höheren Adeligen immer häufiger auf Söldnerheere zurück griffen und so unabhängiger von ihren Vasallen wurden. Was blieb war der Grundbesitz und der damit verbundene Adelstitel. So kann man davon ausgehen, dass sich auch der letzte Herr von Obernitz auf Liebschütz als Ritter gefühlt hat, auch wenn man sich schon lange nicht mehr so bezeichnete und schon gar nicht die Ausbildung zum Ritter genoss. Der wahre letzte Ritter von Liebschütz ist demnach 1810 gestorben, also lang Zeit nach dem Mittelalter.Drei Kreuze als Ersatz für einen Sühnestein
Als nächstes untersuchen wir den Platz des Geschehens, den Felsen, in dem unten drei Kreuze eingehauen sind. Wenn man die Sage hört und den Ort noch nicht gesehen hat, kann man auch hier einen alten Kultplatz vermuten, an dem man vielleicht sogar Menschen opferte oder zumindest Gericht über sie hielt. Vor Ort sieht die Sache aber etwas anders aus. Der Felsen ist nicht besonders steil und auch nicht hoch genug für Todesstürze. Damit scheidet ein Kultplatz aus. Aber natürlich kann durch unglückliche Umstände dort ein Mensch ums Leben gekommen sein. Die drei eingehauenen Kreuze deuten jedenfalls sehr darauf hin. Sie stammen auf jeden Fall aus der Zeit vor der Reformation, denn sie symbolisieren die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Geist. Sie werden nur im Katholizismus verwendet. Es scheint eine Art Ersatz für einen Sühnestein zu sein, den wir ja schon in der Sage vom Schlüsselstein auf der Spur waren.Gerichtskampf im Mittelalter
Ein weiteres interessantes Motiv der Sage ist der Kampf zwischen den beiden Rittern. Zweikämpfe waren im Mittelalter eine normale Sache. Im Normalfall waren das Gerichtskämpfe, die ganz strengen Regeln unterlagen und unter Aufsicht eines Richters durchgeführt wurden. Ziel des Kampfes war es aber nicht den Gegner zu töten, sondern ihn kampfunfähig zu machen. Übertragen auf unsere Sage heißt das, vielleicht ist doch einmal ein Ritter bei so einem Zweikampf um Leben gekommen, die Schilderung betont ja auch die Unabsichtlichkeit des Todes, indem der Ritter wegrutscht. Und da sowas nicht alle Tage vorkam, hat man es überliefert und in eine Geschichte eingebaut. Der Kampfplatz selber wird aber nicht auf dem Felsen gewesen sein, da dort der Platz für einen solchen Zweikampf gefehlt hätte. Genauso fehlt der Platz unten am Felsen, wo die drei Kreuze eingehauen sind, außerdem ist das Gelände dort zu abfällig, als dass man dort einen Kampfplatz hätte einrichten können.
Bleiben wir bei dem Gedanken an den Gerichtskampf. Man weiß,
die von Obernitz, also die Ritter von Liebschütz, hatten auch die
Gerichtshoheit, das heißt sie waren Richter bei solchen Gerichtskämpfen. Bei
mündlichen Überlieferungen kommt es häufiger zur Vertauschung von handelnden
Personen. So kann aus dem Richter in der Überlieferung der Kämpfer geworden
sein, der am Ende durch einen unglücklichen Schlag sein Leben verlor. Und als
man später in einer Zeit, als die Reformation in unserer Gegend schon lange
vollzogen war, nicht mehr wusste, was die drei Kreuze am Felsen bedeuteten, hat
man die Überlieferung einfach an diesen Ort übertragen.