Der blaue Dunst

 

Der Pflock wird aus der Wand gezogen und der blaue Rauch entweicht

Wir bleiben heute weiter beim Thema Pest. Und da wir ja für die letzte Sage drei Anläufe gebraucht haben, müssen wir ein bisschen aufholen. Deshalb nehmen wir heute gleich mehrere Sagen unter die Lupe. Natürlich müssen wir das nicht machen, weil wir aufholen müssen. Wir machen das so, weil alle diese Sagen ein ähnliches Hauptthema haben. Lediglich der Ort, an dem sie sich zugetragen haben, ist jeweils ein anderer. Dabei ist das Thema ein blauer Dunst oder ein blauer Rauch, der in den Augen der damaligen Menschen, die Pest verursacht haben soll.
Unsere erste Sage hat sich in der Kucksmühle bei Langenwetzendorf ereignet. Es war die Zeit der großen Pest. Langenwetzendorf war schon fast ganz an der Pest ausgestorben. Während sich die Kucksmühle weiterhin schadlos hielt. Doch dann sah der Müller vom Dorfe her eine blaue Wolke auf sein Haus zuziehen. Und weil das Stubenfenster offen stand, zog die Wolke in die Stube hinein. Dort verkroch sie sich in zwei Spindlöchern eines Balkens. Der Müller schlug sofort zwei Pflöcke in die Löcher, sodass die Wolke in dem Balken eingeschlossen war.

Nun verging die Zeit und alle in der Mühle blieben wohl auf. Nur eines Tages packte dem Müller die Neugier und er wollte sehen, was wohl aus dem blauen Dunst geworden ist. Also lockerte er einen Pflock. Sogleich entwich der blaue Dunst mit lautem Zischen, das sich wie das Zischen einer giftigen Schlange anhörte. Der Dunst verbreitete sich sofort im ganzen Haus. Nicht lang danach erkrankten alle Bewohner an der Pest und starben.[1] [2]

Aus Gera ist eine ähnliche Begebenheit bekannt. Dort herrschte ebenfalls eine furchtbare Pest und zwei fremde Gesellen saßen beieinander in einer Stube. In dem Haus waren vorher schon etliche Personen an der Pest erkrankt und sind auch gestorben. Die Gesellen störte das nicht weiter und so zechten sie ohne Bedenken miteinander. Da sah plötzlich einer der beiden in einem Winkel der Stube einen blauen dünnen Rauch aufsteigen. Sie sahen ihn mit Verwunderung zu, wie er sich „allmählich in eine Klunze in der Wand hinein verschlich“. Wir würden heute sagen der blaue Rauch verschwand in einem Loch in der Wand. Gleich darauf lief einer der Gesellen hin und schlug einen Pflock in das Loch. Nach einiger Zeit dachte er nicht mehr daran. Auch wusste man in der Stadt nicht mehr viel von der Seuche oder besser gesagt man verspürte die Gefahr nicht mehr, die von der Seuche ausging.

Nach etlichen Jahren trat dieser Geselle wieder in diese Stube. Als er nun so in der Stube saß, erinnerte er sich wieder an den Pflock, den er damals in die Wand trieb. Als er nachschaute, saß dieser noch an Ort und Stelle. Da sagte er aus Scherz zu den Anwesenden: „Siehe da! Vor einigen Jahren hab ich einen Vogel dahinein gesperrt, ich muss doch sehen, ob er noch darinnen ist?“ Daraufhin zog er den Pflock aus der Wand. Von der Stunde an zog der baue giftige Dunst aus dem Loch hervor. Etliche Personen im Haus erkrankten an der Pest und die ganze Stadt wurde wieder von neuem und noch schrecklicher heimgesucht als zuvor.[3] [4]

Es existiert eine weitere Überlieferung der letzten Sage in Leubsdorf bei Triptis, mit sehr ähnlichem Inhalt. Deshalb will ich es hier nur erwähnen und nicht nochmal nacherzählen. Robert Eisel veröffentlichte noch eine weitere Sage aus Altensalza, das wir heute als Altensalz bei Plauen kennen. In der Sage zog die Pest ebenfalls in Gestalt einer Wolke durchs Dorf. Allerdings verschwand sie in einen hohlen Baum, woraufhin die Krankheit aufhörte ihren Schrecken zu verbreiten.[5]

Im Grunde ist der Hintergrund dieser Sagen schnell erklärt. Die Menschen damals glaubten damals, ein böser blauer Rauch überträgt die Krankheit und man müsse ihn nur einfangen und einsperren. Deshalb taucht dieses Motiv auch so häufig auf. Aber da wir heute die Entstehung der Pest durch Bakterien kennen, fragen wir uns: Wie kam es nun zu dem Glauben, dass ausgerechnet ein blauer Dunst oder ein blauer Rauch die Krankheit überträgt?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erstmal wissen, dass damals keiner etwas über die Krankheit wusste. Nicht einmal die Ärzte und Gelehrten kannten die Ursache der Krankheit. Deshalb erstellten im Oktober 1348 „die Mitglieder der medizinischen Fakultät der Universität
Paris“ ein Gutachten, um den Menschen eine Erklärung zu liefern. So gaben diese Herren bekannt, die Ursache liege in der Konstellation der Sterne. Denn die drei Planeten Saturn, Jupiter und Mars würden ungünstig im Zeichen des Wassermannes stehen.[6] Die Folge daraus, sollten Ausdünstungen von Meer und Land gewesen sein, die in die Luft gesogen wurden, und als krankmachende Winde auf die Erde zurückkamen.[7]

Daraufhin wurde 1348 die Pestregimina und Pestconsilia herausgegeben, die Auskunft darüber gab, welche Diät-Vorschriften und Verhaltensregeln einzuhalten seien. In diesen Vorschriften wurde empfohlen Südwind und neblige Luft zu meiden, genauso wie faulende Birnen und Fisch. Auch wurde den Leuten der Verzicht auf Geschlechtsverkehr und heiße Bäder ans Herz gelegt, wegen der Öffnung der Poren. Weiterhin sollte man Speisen mit stark duftenden Essenzen wie Gewürznelken versetzen und es wurde angeraten Wein sowie Bier, statt Wasser zu trinken. Auch Aderlass, frische Luft und in Wein getränkte Speisen sollten die Pest vertreiben.[8]

Ihr seht, man war ratlos, deshalb schob man den Ausbruch der Pest auf böse Ausdünstungen, die nebelartig über das Land zogen. So war es auch kein Wunder, wenn die Menschen Rauch- oder Dunstwolken gesehen haben wollten, die einem Pestausbruch vorangingen. Denn schließlich kam die Aussage von Professoren. Allerdings war die Medizin damals noch nicht so weit. Denn sie befand sich immer noch in einem vorwissenschaftlichen Stadium und folgte in ihrem Krankheitsverständnis noch der antiken Vier-Säfte Lehre. Diese besagt, dass Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, also die vier Körpersäfte, wohl gemischt seien müssen. Und gerade wegen der Vier-Säfte-Lehre hat man immer wieder auf Aderlässe zurückgegriffen, was die Patienten zusätzlich schwächte. So geschwächt, hatten die Patienten der Krankheit gar nichts mehr entgegenzusetzen.[9]

Eins hatten die mittelalterlichen Ärzte aber schnell erkannt, dass die Krankheit auf der einen Seite durch Flohbisse hervorgerufenen wurde. Wir sprechen in dem Fall von der Beulenpest. Die Anzeichen waren aufspringende Beulen unter den Achselhöhlen oder in der Leistengegend, begleitet von rasendem Fieber, Benommenheit und Halluzinationen. Auf der anderen Seite gab es die Lungenpest, an der Erkrankte, auf Grund einer Nervenlähmung und der Zerstörung des Lungengewebes qualvoll erstickten. Man unterschied also schon recht schnell diese beiden Verlaufsformen der Pest.[10]

In alle diesen Sagen wird aber noch eine interessante Sache angesprochen, die vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so auffällt. Die Pest kehrt nach einer geraumen Zeit wieder. Und das war tatsächlich so. Denn zählt man alle historischen Bericht von kleineren und größeren Ausbrüchen in Europa zusammen, dann kommt man auf 7000 Ausbrüche. Eine wahrlich erschreckende Zahl. Man weiß inzwischen auch, dass es sich immer wieder um den gleichen Erreger handelte.[11]

Noch bis vor einigen Jahren ging man von einer Art Immunität aus, welche die erste Pestwelle den Menschen verlieh, sodass die Ansteckungsgefahr, sowie die Todeszahlen in darauffolgenden Wellen wesentlich geringer waren.[12] Diese Vorstellung wurde aber durch neueste Forschungen modifiziert. Heute weiß man, die allgemeine Immunität ließ mit der Zeit nach. Da die Immunität ja nicht von Mensch zu Mensch vererbt wurde, fehlte denjenigen, die nach der großen Pest geboren wurden, diese Immunität. Und wie in der Sage erwähnt: „Als man nicht mehr viel von der Seuche wusste“ kehrte das Bakterium zurück und traf wieder auf eine anfällige Bevölkerung. So kam es zur nächsten Epidemie. Und wenn man das weiß, verwundert es auch nicht, dass dann überdurchschnittlich viele Kinder Opfer der Seuche wurden. Denn deren Immunsystem kannte das Bakterium nicht.[13]

Und fragt man sich: Wohin verkroch sich die Pest in der Zwischen? Dann kommt man schnell auf die riesigen Populationen von Hausratten des mittelalterlichen Europas. Von denen aus der Erreger von Zeit zu Zeit wieder auf die Menschen übertragen wurde. Das ging dann bis zur letzten großen Pestpandemie von 1720 bis 1722 in Marseille. Denn dann wurde die Hausratte von der Wanderratte verdrängt, die weit weniger Kontakt mit den Menschen hat.[14] Wir können also zusammenfassen. Die Leute und auch die Ärzte glaubten damals, dass die Pest von einer Art Dunst oder Rauch verbreitet wurde. Aus diesem Glauben heraus folgten dann die Beobachtungen, die schildern wie ein blauer Rauch aus Löchern von Wänden oder von Bäumen entkommt und daraufhin eine Pestwelle ausbricht.

[1] Robert Eisel und Harald Rockstuhl, Sagenbuch des Voigtlandes 1871 - 1030 Sagen aus dem Vogtland, 2., bearbeitete und ergänzte Auflage (Bad Langensalza: Rockstuhl, 2009).

[2] Bernd Kemter, „Würgezug der Pest führte auch durch die Kuxmühle“, 6. August 2011, https://www.otz.de/leben/vermischtes/wuergezug-der-pest-fuehrte-auch-durch-die-kuxmuehle-id218293757.html.

[3] Ludwig Bechstein, Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band, Bd. 2 (Wien und Leipzig.: C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, 1858).

[iv] „Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der böse Vogel in Gera“, zugegriffen 4. März 2021, https://de.wikisource.org/wiki/Th%C3%BCringer_Sagenbuch._Zweiter_Band/Der_b%C3%B6se_Vogel_in_Gera.

[5] Eisel und Rockstuhl, Sagenbuch des Voigtlandes 1871 - 1030 Sagen aus dem Vogtland.

[6] Stefanie Heidel, Die Pest in den Europäischen Städten, 1. Auflage (München: GRIN Verlag, 2006).

[7] „Felicitas von Aretin: Die Pest von 1348“, 7. November 2006, https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/archiv/2002_01/02_01_aretin/index.html.

[8] „Felicitas von Aretin“.

[ix] „Pandemien - Als die Pest die Welt im Würgegriff hielt“, Deutschlandfunk, zugegriffen 6. September 2020, https://www.deutschlandfunk.de/pandemien-als-die-pest-die-welt-im-wuergegriff-hielt.1148.de.html?dram:article_id=476219.

[10] „Felicitas von Aretin“.

[11] Johannes Krause und Thomas Trappe, Die Reise unserer Gene: Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren, 10. Aufl. (Ullstein eBooks, 2019).

[12] Doreen Miersch, Die Pest als eine Krise des 14. Jahrhunderts / Doreen Miersch, 1. Auflage (München: GRIN Verlag, 2017), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-201711285904.

[13] Krause und Trappe, Die Reise unserer Gene.

[14] Krause und Trappe.

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