Noch eine blaue Dunstwolke


Schnitter auf einem Feld

Wie der Titel bereits verrät, beschäftigen wir uns noch einmal mit einer blauen Dunstwolke. Allerdings liegt hier der Fokus nicht auf dem Dunst. Es geht vielmehr um die genaue Verortung der Sage.

In Moxa, zwischen Ziegenrück und Ranis, haben die Bewohner die Pest schon in einem Balken eingeschlossen und verkeilt. Doch dann schlug ein Knabe aus Langeweile und Unwissenheit den Keil wieder heraus. Sofort entwich der blaue Dunst und zog als Wolke weg, über Häuser und Höfe sowie Felder und Fluren. Auf einem dieser Felder waren Schnitter mit dem Ernten von Getreide beschäftigt. Sie sahen, wie die Dunstwolke in Richtung Böhmersdorf und Zeulenroda zog. Tatsächlich brach dort auch kurz darauf die Pest aus. Und nicht nur dort. Auch weitere Orte der Umgebung waren von der Seuche betroffen, an der dann so viele Menschen starben. [1] [2] [3]

Wie es zu dem Glauben gekommen ist, dass ein blauer Dunst die Pest überträgt, wissen wir ja bereits. Heute soll es um die Lage der genannten Orte zueinander gehen. Denn der Ort Moxa bei Ziegenrück passt so gar nicht zu den Orten Böhmerdorf, heute Niederböhmersdorf, und Zeulenroda. Das Problem dabei ist die relativ große Entfernung, zwischen den Orten. So liegen Moxa und Niederböhmersdorf Luftlinie etwa 28 Kilometer auseinander.[4]

Blick auf Moxa

Schauen wir uns mal an wie sich das in der Praxis auswirkt. Die Leute der damaligen Zeit nahmen meist den kürzesten Weg, das sind etwa 34 Kilometer. Selbst in der heutigen Zeit, wo fast jeder ein Auto hat, ist das eine große Entfernung. Damals bedeutete das sechs bis sieben Stunden, zu Fuß oder mit dem langsamen Fuhrwerk unterwegs zu sein.[5] Brach man also früh um 8 Uhr auf, dann war man erst Nachmittag zwischen 14 und 15 Uhr am Ziel. An den meisten Tagen des Jahres kommt man dann nicht mehr im Hellen zurück. Deswegen kann man schon von einer Tagesreise sprechen.

Aus diesem Grund können wir davon ausgehen, dass die beiden Dörfer keine engen Beziehungen zueinander hatten. Ja ich denke sogar, das ist heute noch so. Denn wenn man die Bewohner von Moxa heute fragen würde, wo Niederböhmersdorf liegt, wäre die Antwort wohl bei einigen ein Schulterzucken. Mit Sicherheit gibt es auch etliche Leute, die den Namen gar nicht kennen. Gehen wir dann wieder zurück in die Zeit, als die Pest grassierte. Dann haben wir eine Landbevölkerung, die noch weit weniger mobil war, als wir heute. Die Leute kamen meist nur ein paar Kilometer aus ihren Orten heraus. Es ist also keine übertriebene Annahme, wenn wir sagen, in Moxa kannte damals kaum jemand Böhmersdorf.

Noch einfacher wird es, wenn man sich selbst in die Lage versetzt, eine Richtungsangabe machen zu müssen. Dann gibt man sicher immer die nächstgelegenen Ortschaften an. Denn die sind den Leuten vor Ort geläufig. Die Bewohner von Moxa würden also sagen, die Wolke ist in Richtung Keila, Paska oder Ziegenrück gezogen, aber nie nach Böhmersdorf.

Wie kamen die beiden Orte aber nun in eine Sage, wenn sie so wenig miteinander zu tun hatten? Dafür müssen wir uns anschauen, wie die Sagen aufgeschrieben wurden. Die Sage selbst stammt aus dem Archiv des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben. Ein Verein, der 1825 gegründet wurde und der sich mit Archäologie, Geschichte aber auch mit der Volkskunde sowie der Heimatpflege beschäftigte und sich noch heute beschäftigt.[6]

Im 19. Jahrhundert sammelten die Mitglieder auch viele Sagen in Ostthüringen und im Vogtland. Ein großer Teil dieser Sagen geht auf das Wirken von Pastor Wilhelm Börner zu Endschütz zurück.[7] Dabei ist Wilhelm Börner teilweise selber in den Orten gewesen und hat sich die Sagen aufgeschrieben. Aber oftmals hat er auch die Hilfe von Leuten vor Ort bekommen. Das waren meist Lehrer, Richter und andere Beamte. Diese kannten die örtlichen Sagen, schrieben diese auf und schickten sie per Post an Wilhelm Börner. Der schrieb dann diese Sagen ins Reine und brachte sie in ein einheitliches Format.

So und an dieser Stelle müssen wir einhaken. Denn genau bei dieser Abschrift muss der Fehler passiert sein. Wahrscheinlich konnte Börner den Ortsnamen nicht richtig lesen und interpretierte den Namen als Moxa. Dazu muss man noch sagen, Börner kannte den Ort Moxa, weil er dort in der Nähe, in Knau, geboren und aufgewachsen ist. Außerdem arbeitete er auch einige Zeit in Ranis, das ebenfalls nicht weit von Moxa entfernt liegt.[8] Umgekehrt kannte er die anderen Orte nicht, deswegen kam es ihn wohl nicht seltsam vor.

Natürlich könnt ihr jetzt sagen, das ist alles Spekulation. Ja, das stimmt. Allerdings wissen wir, dass Börner im engen Kontakt mit Ludwig Bechstein stand, der diese Sage im zweiten Band seines Thüringer Sagenbuches veröffentlichte. Und in diesem Buch ist der Fehler auch schon drin. Dabei stammte Bechstein selber aus Meinigen und wirkte vor allem in westlichen Thüringen, daher wird er den Ort Moxa nicht gekannt haben. So können wir schon mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass der Ort Moxa durch die Abschrift von Börner in die Sage gekommen ist.

Nun gut, jetzt wissen wir, die Geschichte trug sich nicht in Moxa zu. Deswegen müssen wir uns auf die Suche nach dem richtigen Ort machen. Um herauszufinden welcher das ist, werfen wir einen Blick auf die Landkarte und suchen nach einem Ort, der räumlich besser passt und dessen Name so ähnlich klingt wie Moxa. Dabei werden wir sogar zweifach fündig. Denn es gibt nordöstlich von Niederböhmersdorf die beiden benachbarten Orte Nässa und Mehla.[9] Von der Wortlänge passen beide recht gut. Auch wenn beide Ortsnamen jeweils fünf Buchstaben haben und Moxa nur vier, ist das kein Ausschlusskriterium. Denn gerade bei handschriftlichen Aufzeichnungen laufen Buchstaben manchmal so zusammen, dass man sie als ein Buchstabe erkennt.

Blick auf den Ortseingang von Nässa
Schauen wir uns weiterhin die Übereinstimmung der Buchstaben an, dann sprechend die gleichen Anfangs- und Endbuchstaben für Mehla. Das „e“ kann als ein „o“ interpretiert worden sein und das „hl“ sah wohl wie ein „x“ aus.

Auf der anderen Seite wurde Nässa damals noch mit „ß“ geschrieben, das vielleicht mit dem „x“ in Moxa verwechselt wurde. Außerdem kann das „N“ als ein „M“ erkannt worden sein, denn so unähnlich sehen diese beiden Buchstaben nicht aus.

Ihr seht, so einfach ist das nicht mit der nachträglichen Suche nach der richtigen Ortschaft. Immerhin spricht der Inhalt der Erzählung eher für Mehla. Denn dieser Ort ist umgeben von Feldern, auf denen die Schnitter gearbeitet haben könnten. Nässa hingegen ist gerade in Richtung Niederböhmersdorf und Zeulenroda von Wald umgeben. Schnitter können hier eher schlecht gesehen haben, wohin die Wolke genau gezogen ist. So bleibt der Ursprungsort der Sage nun doch etwas im Dunkeln, aber wir können ihn auf Mehla oder Nässa eingrenzen. Mit ziemlicher Sicherheit wissen wir aber, dass die Sage nicht aus Moxa bei Ziegenrück stammt.

Links die Felder von Mehla und rechts einige Häuser von Nässa

[1] Ludwig Bechstein, Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band, Bd. 2 (Wien und Leipzig: C. A. Hartlebens Verlag-Expedition, 1858).
[2] „Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der unvorsichtige Kucksmüller“, zugegriffen 5. März 2021, https://de.wikisource.org/wiki/Th%C3%BCringer_Sagenbuch._Zweiter_Band/Der_unvorsichtige_Kucksm%C3%BCller.
[3] Robert Eisel und Harald Rockstuhl, Sagenbuch des Voigtlandes 1871 - 1030 Sagen aus dem Vogtland, 2., bearbeitete und ergänzte Auflage (Bad Langensalza: Rockstuhl, 2009).
[4] „OpenTopoMap - Topographische Karten aus OpenStreetMap“, zugegriffen 3. Mai 2021, https://opentopomap.org/#map=14/50.67427/12.02780.
[5] „Google Maps“, Google Maps, zugegriffen 18. Mai 2021, https://www.google.de/maps/dir/Moxa/50.6654456,12.0249533/@50.6273752,11.7737894,11z/data=!4m9!4m8!1m5!1m1!1s0x47a14e34e00e1995:0x4208ec174354c20!2m2!1d11.6292299!2d50.6411041!1m0!3e2?hl=de.
Blick auf den Ort Nässa

[6] „Verein - Vogtländischer Altertumsforschender Verein zu Hohenleuben Vogtländischer Altertumsforschender Verein zu Hohenleuben e.V.“, zugegriffen 19. Mai 2021, https://vavh-geschichtsverein-hohenleuben.de/verein/.
[7] Eisel und Rockstuhl, Sagenbuch des Voigtlandes 1871 - 1030 Sagen aus dem Vogtland.
[8] „Berühmte Vereinsmitglieder - Osterspaziergang 2007 - Vogtländischer Altertumsforschender Verein zu Hohenleuben e.V. Vogtländischer Altertumsforschender Verein zu Hohenleuben e.V.“, zugegriffen 12. Mai 2021, https://vavh-geschichtsverein-hohenleuben.de/beruhmte-vereinsmitglieder-osterspaziergang-2007/.
[9] „OpenTopoMap - Topographische Karten aus OpenStreetMap“.





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